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  • jelenaroelz

Iran Teil 2 - Von Teheran über Tabris in die Türkei

Updated: Sep 6, 2022

Wir fahren mit unseren Fahrrädern an der Hauptstadt Teheran vorbei immer in Richtung türkischer Grenze. Die Straße wird einsamer, die Landschaft hügeliger. Unser Ziel ist der Berg Ararat an der Grenze zur Türkei, jener Berg auf dem die Arche Noah nach der biblischen Sintflut gestrandet sein soll. Auf unserem Weg dorthin genießen wir immer noch die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Iraner. Bereits am ersten Tag in der Nähe von Teheran werden wir gleich zwei mal zum Tee eingeladen und beide Male waren es unvergessliche Erlebnisse.



Wir fahren aktuell immer zwischen 100 und 130km, trotz Hitze, Staub, Wind und hügeliger Landschaft. Vor allem kurz vor Teheran treffen wir zum ersten Mal wieder auf "richtige" Berge. Kein Wunder, dass man im Winter im Stadtgebiet von Teheran Skifahren kann! Im Sommer hat es dagegen weit über 40°C. Dementsprechend ausgetrocknet ist die Landschaft. Wir finden einige herrliche kleine Straßen und als wir Mittagspause mit frisch gebackenem Brot und Käse machen, werden wir wie so oft angesprochen und zu Tee eingeladen. Da wir sowieso etwas langsamer machen wollten sagen wir zu. Wenige Augenblicke später finden wir uns auf dem Wohnzimmerboden inmitten der ganzen Familie wieder. Die Oma kocht extra Bratkartoffeln für uns, Tanten und Onkel kommen zu Besuch und der Hauswellensittich Freddie hüpft mitten durchs Buffet. Mit Google Übersetzer und Händen und Füßen versuchen wir uns zu verständigen, manchmal erfolgreich, manchmal weniger. Aber Gastfreundschaft braucht zum Glück nicht viele Worte und Dankbarkeit auch nicht.


Kaum haben wir unsere Gastgeber wieder verlassen und kommen den Vororten von Teheran näher, werden wir schon wieder zum Essen eingeladen. Eigentlich wollten wir heute noch wieder raus aus der Stadt. Andererseits sind wir immer neugierig und freuen uns mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Wir folgen also mit unseren Rädern einem Auto durch ein Labyrinth von Straßen. Am Haus angekommen gibt es erstmal ein traditionelles iranisches Essen. In einem Tonkrug werden Tomaten, Kartoffeln und Fleisch zu einem Brei gequetscht, der dann zusammen mit frischem Brot, grünen frischen Kräutern und Reis gegessen wird. Mittlerweile ist natürlich die gesamte Großfamilie anwesend und sie lassen es sich nicht nehmen uns auch zum Übernachten einzuladen. Da es sowieso schon spät ist, entscheiden wir uns hier zu bleiben. Natürlich wird für uns das volle Abendprogramm aufgefahren: Wir bekommen eine Rundfahrt durch Rabot Karim der Kleinstadt in der wir gelandet sind, es gibt frischen Melonensaft, Eis und am Abend fahren wir in eine Gartenanlage vor der Stadt wo Maiskolben gegrillt und bis spät in die Nacht gesungen und Wasserpfeife geraucht wird. Ganz nebenbei erfahren wir, dass unser Gastgeber ein ehemaliger Weltklasse Ringer ist. Schlafen dürfen, nein müssen!, wir dann im Bett, während die gesamte Familie im Wohnzimmer am Boden liegt. Am nächsten Morgen kommen wir dann gerade so um ein traditionelles iranisches Frühstück herum, dass nicht so ganz unseren westeuropäischen Geschmack trifft: Gekochter Schafskopf- eine absolute Delikatesse im Land. Es gibt Restaurants, die nichts anderes anbieten. Wir bevorzugen dann doch lieber frisches Brot, Marmelade und Honig. Alles handgemacht und unglaublich lecker. Bevor wir wieder aufbrechen, werden wir noch in die iranische Autotuner-szene eingeweiht und bekommen eine richtig gute Pizza, die erste seit vielen vielen Monaten! Als dann der Abschied naht, werden wir natürlich wieder mit Geschenken überhäuft. Bunt verzierte Spiegel, Armbänder, Früchte, Nüsse... mehr als wir tragen können!


Hinter dieser besonderen Form der Höflichkeit und Gastfreundschaft steckt häufig auch "Taarof". Eine gesellschaftliche Gepflogenheit, die für westliche Touristen nur schwer zu durchschauen ist und häufig auch zu Missverständnissen und unangenehmen sozialen Situationen führen kann. Kurz gesagt gebietet der Taarof jedem Iraner seinen Gästen oder ganz allgemein Fremden alles anzubieten, was sich der oder diejenige wünschen könnte, auch wenn das zum Teil die eigenen finanziellen, sozialen und praktischen Mittel übersteigt. Auf der anderen Seite erhält er oder sie auch immer die Möglichkeit sein Angebot zurück zu ziehen und ehrvoll aus der Situation heraus zu kommen. So muss man zum Beispiel Ladenbesitzer häufig dazu überreden bezahlen zu dürfen. Sie lehnen unser Geld meist erstmal ab. Zum Teil sicherlich, weil sie uns wahrhaftig etwas schenken wollen. Wir sind uns aber auch sicher, dass zum Teil auch Taarof dahinter steckt. Nehmen wir das Geschenk nun sofort an, sitzt unser Gegenüber quasi in der Klemme und kann nicht anders als uns ein Geschenk zu machen, obwohl er es vielleicht gar nicht möchte oder es sich auch gar nicht leisten kann. Aus diesem Grund lehnt der Beschenkte erst zwei mal ab. Wenn sein Gegenüber nun auch ein drittes Mal sein Angebot wiederholt, meint er es ernst. Nur schwer durchschaubar und zum Teil anstrengend für uns, ist Taarof allgegenwärtig in der iranischen Gesellschaft, beim Knüpfen von Bekanntschaften und ganz allgemein bei jeder sozialen Interaktion. Es ist in westlichen Gesellschaften gänzlich unbekannt und gerade deshalb für uns so wahnsinnig interessant. Will man auf Nummer Sicher gehen, sollte man seinem Gegenüber mit einem bestimmten "No Ta'rof!" klar machen, dass man den weiten Weg des höflichen Anbieten und Ablehnen umgehen möchte und gleich zur Sache kommen will. Für Iraner eher ein No-Go, bei Ausländern aber toleriert. Zumal viele junge Iraner Taarof mittlerweile auch als eher lästig empfinden. Wer mehr zu diesem Thema wissen will, dem empfehle ich ein bißchen im Netz zu stöbern. Man findet einige sehr interessante Artikel zu Taarof.



Auf unserem Weg in Richtung Westen werden wir wieder fast täglich mit Geschenken überhäuft. Eine sehr spezielle Einladung erhalten wir kurz vor Tabris. Wir machen gerade eine Melonenpause, als uns eine Frau ein Handy ans Ohr drückt. Wir sollen mit ihrem Onkel sprechen. Dieser spricht perfektes Englisch und so werden wir erst zum Weintrauben pflücken und essen und anschließend in ein teueres Restaurant zum Essen eingeladen. Der Mann hat viele Jahre in Cardiff gelebt und ist jetzt wieder in seine Heimat zurück gekehrt um einen Parfum-Laden zu eröffnen. Da wir nicht allzu häufig jemanden treffen, der so gut Englisch spricht, nutzen wir die Gelegenheit und erfahren viele kleine Geschichten und Details, die uns sonst verborgen geblieben wären.

Tabris ist die letzte große Stadt vor der Grenze. In der modernen Stadt angekommen, sitzen wir keine zwei Minuten auf einer Bank als uns zuerst ein Tablett mit Tee angeboten wird und kurz darauf ein älterer Herr auf Deutsch mit uns zu reden beginnt. Es ist Firooz mit seiner Frau Nahid, die gerade auf dem Heimweg sind. Er ist Arzt und sein Hobby sind Sprachen, Deutsch ist seine Lieblingssprache. Er ist wahnsinnig begeistert darüber uns zu treffen und wir tauschen Nummern aus, damit er weiter Deutsch üben kann. Wir sitzen noch eine halbe Stunde lang auf der Bank, als Firooz wieder auftaucht. Er ist extra nach Hause gelaufen um uns einen Sack voll Äpfel zu holen. Mittlerweile ist das fast ein halbes Jahr her, und immer noch bekomme ich regelmäßig Whatsapp Nachrichten von Firooz. Es sind diese Begegnungen die wir im Iran gemacht haben, die uns so schwärmen lassen von diesem Land und seinen Menschen. Taarof hin oder her, diese echte, tiefe Freude in den Gesichtern der Menschen uns einfach nur zu begegnen und uns kennen zulernen lässt es uns jeden Tag aufs neue warm ums Herz werden und an das Gute im Menschen glauben. Wir nehmen uns fest vor, diese Herzlichkeit mit nach Hause zu nehmen und aktiv zu leben.

Der Markt in Tabris ist absolut sehenswert. Es ist UNESCO Weltkulturerbe und seit jeher eine der wichtigsten Stationen auf der historischen Seidenstraße. In unzähligen Gewölbegängen bieten zahlreiche Händler alles an, was man sich vorstellen kann. Gewürze, Schmuck, Teppiche, Möbel, Obst.... Wir entscheiden uns einige Packungen Gewürze mit nach Hause zu nehmen. Keine leichte Entscheidung, da wir die Sachen noch gute 3000km schleppen müssen, bis wir meine Eltern irgendwo in der Türkei treffen wollen.

Nach unserer kleinen Shopping-Tour greifen wir die letzten großen Berge vor der Grenze an. Und genau hier überholen wir eine große Gruppe MTBiker. Einige von ihnen holen uns später wieder ein und spontan werden wir natürlich wieder zum Mittagessen eingeladen. Wir verbringen einen wunderschönen Nachmittag mitten in den Bergen zusammen mit 20 iranischen Radfreunden. Wir werden etwas wehmütig beim Blick auf ihre Räder und freuen uns umso mehr auf eine MTB Tour mit unseren Freunden in der Heimat.




Die letzten Monate haben doch sehr an uns gezehrt und so freuen wir uns nun langsam wirklich auf daheim. Im Nachhinein fast etwas schade, dass wir nicht länger im Iran geblieben sind und noch den ein oder anderen Umweg genommen haben. Zu dem Zeitpunkt war es aber die richtige Entscheidung den direkten Weg zu wählen. Vorallem auch weil der Winter schon in Sichtweite ist und es in diesen Regionen bitter kalt werden kann.

Und eins ist ohnehin sicher: Iran wir kommen wieder!


Kurz vor der Grenze in die Türkei taucht er auf, der Berg Ararat. Kaum ein zweiter Berg liegt so markant in der Landschaft. Wir übernachten ein letztes Mal im Zelt mit Blick auf den Berg. Die Temperaturen nachts liegen mittlerweile um den Gefrierpunkt. Aber der Blick am morgen entschädigt für die kalten Füße.


Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen wir das Land in Richtung Türkei. Wir freuen uns, dass wir endlich mal gut vorwärts gekommen sind und es aktuell einfach "läuft". Und gleichzeitig trauern wir schon jetzt der Herzlichkeit und den lachenden Gesichtern unserer iranischen Freunde hinterher. Wir erzählen der ganzen Welt wie ihr wirklich seid, versprochen!




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