Mit dem Fahrrad durch die Bramaputra Ebene in Assam, in die steilen Berge von Sikkim und durch die Teeplantagen um Darjeeling bis zur Grenze nach Nepal. Ereignisreiche Wochen, in denen wir unter anderem unglaubliche Gastfreundschaft erfahren, das Bihu-Festival in Bongaigaon miterleben, unsere ersten Fernsehinterviews geben müssen, drei Tage unfreiwillig in einem staatlichen Krankenhaus auf der Isolationsstation zwischen tierischen Mitbewohnern verbringen und steile Anstiege in Sikkim bewältigen, neben denen jeder Alpenpass verblasst. Es sind die mit Abstand härtesten Wochen unserer Reise bisher und eigentlich nichts läuft nach Plan. Und doch sind es jeden Tag Erlebnisse, die wir vermutlich nie vergessen werden.
Unser Warmshowers- Gastgeber Sid und seine Freunde Papu und Abhijit haben uns einen Platz in einem Fußballstadion organisiert. Wir bekommen ein eigenes Zimmer mit Ventilator, haben einen Brunnen vorm Haus und vor allem sind wir weit weg vom Trubel der Stadt mit Blick auf die umliegenden Hügel. Die drei sind Mitglieder des Cyclists of Bongaigaon – Fahrrad Clubs und sehr aktiv auf Warmshowers.com. Trotz ihres jungen Alters von Anfang 20 sind sie die perfekten Gastgeber und kümmern sich um alles.
Wir werden mit lokalen Spezialitäten versorgt und bekommen Gastgeschenke ohne Ende. Unsere Anwesenheit spricht sich schnell herum in dem kleinen Vorort und so werden wir täglich mehrmals zu verschiedenen Aktivitäten eingeladen, und jedes Mal erhalten wir eine Gamosa in den Farben von Assam als Zeichen des Respekts und der Gastfreundschaft. Jelena, die die letzten beiden Wochen schon mit Magenproblemen zu kämpfen hatte geht es langsam wieder besser. Mir geht es dagegen täglich schlechter. Magenschmerzen und Montezumas Rache schlagen zu wie nie zuvor. Eigentlich will ich den ganzen Tag nur rum liegen, was aber aufgrund unserer kleinen Berühmtheit die wir mittlerweile in dem Ort erlangt haben kaum möglich ist. Sid, Papu und Abhijit kümmern sich täglich und versorgen mich mit alten pflanzlichen Heilmitteln und Schonkost. Auch einen Arzt haben sie organisiert. Der kommt lässig auf dem Motorrad und mit Sonnenbrille daher, spricht leider kaum ein Wort Englisch und verschreibt mir auf einem alten Schmierblatt einige Tabletten Antibiotika. Die helfen auch ein wenig und mir geht es stückweise besser. Wenn man so will hatte die Zwangspause auch etwas Gutes an sich, denn am folgenden Wochenende startet das große Bihu-Festival in ganz Assam. Es ist das Neujahrsfest der Hindus und wird überall mit traditionellen Tänzen und anderen Aktivitäten ausgiebig gefeiert. Wir besuchen in der Woche zuvor die Proben zu den Tänzen und sind überwältigt von der Farbenpracht der Seidengewänder. Mehrere lokale Fernsehsender sind anwesend und wir müssen unsere ersten Interviews vor laufender Kamera geben. Wir sollen für unzählige Selfies mit Tänzerinnen, Kindern, Omas und Opas, ganzen Familien posieren und unzählige Hände schütteln. Jelena im indischen Tanz und Mirco an der Trommel. Immer wieder werden wir zu Tee oder zum Essen eingeladen. Alle sind sichtlich bemüht uns eine schöne Zeit zu bereiten.
Als Jelena aber eines Abends alleine mit den drei Jungs Sid, Papu und Abhijit einen der Workshops besucht, artet der Selfie-Wahnsinn endgültig aus. Immer mehr Menschen versammeln sich um sie herum, Kinder werden ihr in die Hand gedrückt und die Leute werden immer fordernder bis sie schließlich buchstäblich versuchen sie ins Bild zu zerren. Damit war für Jelena der Spaß endgültig vorbei und sie macht den Leuten sehr deutlich klar dass sie keine weiteren Fotos machen möchte. Leider wird das nicht von allen respektiert und so bahnt sie sich mit Hilfe der drei Jungs ihren Weg aus der Situation.
So schön die Aufmerksamkeit und Gastfreundschaft manchmal ist, so ist es uns oft ist es einfach viel zu viel und wir können nicht jede Einladung zum Tee annehmen. Am ersten Tag des Bihu Festivals (das Fest dauert einen ganzen Monat) werden wir schließlich als Ehrengäste zu den Tanzaufführungen eingeladen. Wieder dürfen wir unzählige Hände schütteln, erhalten noch mehr Gamosas und dürfen sogar neben dem Minister Platz nehmen. Am Abend sind wir dann noch zu einem Freund zum Abendessen eingeladen. Wir probieren traditionelle Tracht an und werden wieder reich beschenkt. Langsam wird der Platz knapp in den Packtaschen!
An unserem vorletzten Tag in Bongaigaon fahren uns die Jungs in ein nahegelegenes Örtchen. Dort ist einer von nur zwei Orten auf der Welt, an dem es Goldene Lemuren zu beobachten gibt. Und wir haben tatsächlich Glück. Die Tiere springen mitten im Ort von Baum zu Baum, teilweise sogar mit Jungtieren am Bauch oder auf dem Rücken. Wir können herrliche Bilder machen genießen den Anblick. Anschließend bekommen wir noch eine kleine Führung durch den Garten eines Freundes. Unglaublich wie viele verschiedene Früchte (Ananas, Papaja, Jackfruit, Mango etc.), Blumen (Hibiskus und verschiedenste Orchideen) und andere Pflanzen bei diesem Klima gedeihen, alles im Schatten der Betelnusspalmen.
Am nächsten Tag wollen wir aufbrechen. Ich bin zwar noch nicht ganz fit, aber auf dem Weg der Besserung (dachten wir zumindest). Die Jungs begleiten uns noch 20 km auf ihren Rädern aus der Stadt und nach 12 Tagen haben wir hier sicherlich drei Freunde dazu gewonnen. Mir geht es leider mit jedem Kilometer wieder etwas schlechter und bis ich kaum noch Kraft habe die Kurbel zu bewegen. Als dann in der Nacht auch noch heftiger Durchfall wieder einsetzt, beschließen wir ins nächste Krankenhaus zu fahren. 20 km fahren wir ganz langsam, Jelena voraus, bis wir schließlich in die nächste Stadt kommen. Im Krankenhaus spricht leider niemand Englisch an der Registrierung. Ich versuche, mittlerweile kurz vorm Kreislaufkollaps, mit Hand und Fuß klar zu machen was das Problem ist. Schließlich hilft eine Frau im Warteraum mit einigen Worten Englisch aus und wir werden sofort zum Arzt geführt.
In dem kleinen Zimmer ist bereits eine indische Großfamilie und es ist kaum Platz sich umzudrehen. Nach einigen kurzen Fragen und ohne jegliche andere Untersuchung werde ich schließlich auf der Isolationsstation eingewiesen und sofort mit Infusionen (meine erste seit 28 Jahren!) versorgt. Im Zimmer stehen 10 Betten, alle Patienten mit ähnlichen Symptomen. Die Isolation wird aber wenig ernst genommen und so gesellen sich zu den Kranken meist ganze Familien, so dass manchmal fast 40 Leute in dem Raum anwesend sind. Ich liege auf einem brettharten Metallbett und Jelena kann unser Innenzelt zum Schutz vor den Moskitos in einer Ecke des Raums aufbauen.
Draußen auf dem Flur läuft ab und zu eine kleine Kuhherde durch die Gänge. Auch Ziegen, Hühner und Hunde geben sich die Klinke in die Hand. Es wird auf den Fluren gekocht, die Essensreste zusammen mit dem medizinischen Abfall zum Teil einfach in den Garten gekippt – zur Freude der Tiere die dort auf allem möglichen herum kauen. Von den sanitären Anlagen haben wir uns nicht einmal getraut ein Foto zu machen. Incredible, India!
Über die medizinische Versorgung dagegen kann nichts schlechtes gesagt werden. Die Krankenschwestern arbeiten professionell und auch die Medikamente die mir verabreicht werden führen schnell zur Besserung. Allerdings ist man in Indien nicht mal auf dem Krankenbett vor Selfies sicher. Zwei Jungs haben scheinbar Wind davon bekommen, dass zwei Ausländer im Krankenhaus sind und lassen es sich nicht nehmen vorbei zu schauen. Der eine von beiden offensichtlich nur scharf auf ein Foto mit uns. Ich bin zu diesem Zeitpunkt noch viel zu schwach um mich dagegen zu wehren.
Auf der anderen Seite werden wir noch am ersten Abend von Papu und Sid überrascht. Als wir ihnen von unserem Krankenhausaufenthalt erzählt haben, sind sie aufs Motorrad gesprungen und 3h (einfach!) über den holprigen Highway gefahren, nur um sicher zu gehen dass wir gut versorgt werden. Die Heimfahrt müssen sie dann auch noch im Dunkeln antreten. Auch das ist Indien!
Ganze drei Tage dauert es, bis ich wieder halbwegs fit bin und mich bereit fühle das Krankenhaus zu verlassen. Eine weitere Woche soll ich noch Antibiotika Tabletten nehmen. Wenn auch eine unfreiwillige und unangenehme, so war es definitiv eine Erfahrung, die wir vermutlich unser Leben lang nicht mehr vergessen werden!
Der Krankenhausaufenthalt in staatlichen Krankenhäusern ist in Indien übrigens für jedermann kostenfrei. Lediglich die Medikamente müssen bezahlt werden (28€).
Am vierten Tag beschließen wir also langsam unsere Räder zu packen und einige Kilometer locker zu kurbeln. Nach über zwei Wochen Durchfall und Magenschmerzen und ohne viel Essen ist jegliche Kraft verschwunden und wir fahren in den folgenden Tagen jeweils nur ca. 30- 50 km bis wir unser Zelt aufschlagen. Die Hitze macht uns außerdem sehr zu schaffen. Schön sind dagegen die vielen Teeplantagen links und rechts der Straße, die sich mit dichten Urwäldern abwechseln. Wir durchqueren einige Nationalparks in denen es neben wilden Elefantenherden auch Tiger und zum Teil noch Nashörner gibt. Leider werden die Lebensräume dieser großen Säugetiere immer mehr bedroht. Mitten durch den Nationalpark führt neben dem Highway auch eine Eisenbahnlinie auf der es immer wieder zu Unfällen mit Elefanten kommt. Vor einigen Jahr fuhr ein Zug in eine Herde mit ca. 50 Tieren von denen 7 nicht überlebten.
Eines Abends als wir bereits unser Zelt aufgebaut hatten, kamen einige Dorfbewohner um uns vor den Elefanten zu warnen, die angeblich einige Tage zuvor erst genau an dieser Stelle nachts vorbei gekommen sind. Als dann auch noch der lokale Polizeihauptmann meint wir sollen unser Zelt doch lieber 200m weiter neben einem Tempel aufstellen, packen wir ein wenig widerwillig unsere sieben Sachen wieder ein und 200m weiter wieder aus. Zumindest wollte niemand ein Selfie, aber zum Tee in der Polizeistation wurden wir am nächsten Tag eingeladen.
Die Straße in Richtung Sikkim schlängelt sich erst gute 100km in einem Tal entlang. Der Verkehr ist mörderisch und einige Male entgehen wir nur knapp einem Frontalzusammenstoß. In Indien hat der Vorfahrt, der zuerst hupt, so scheint es uns zumindest. Es wir einfach immer und überall überholt, in Kurven, bei Gegenverkehr und wenn es sich um zwei Radler auf der Gegenfahrbahn handelt dann erst Recht. Manchmal hilft es da wirklich nur in den Graben auszuweichen wenn einem zwei LKWs auf beiden Spuren entgegenkommen. Immer noch nicht 100%ig fit, Hitze, Steigung und diese Straße bringen unsere Geduld an ihre Grenze. Endlich in Rangpo angekommen, dem Tor nach Sikkim, gönnen wir uns eine Domino‘s Pizza – das erste wirklich „westliche“ Essen seit Beginn unserer Reise.
Nach gefühlten 6 Monaten Reis ein unglaublicher Genuss! Für Sikkim brauchen Ausländer noch immer ein Permit und müssen sich registrieren lassen. Das Ganze ist aber in einer halben Stunde erledigt und wir suchen uns einen Zeltplatz am Stadtrand. Der nächste Tag ist komplett verregnet und so beschließen wir einfach einen Tag im Zelt zu verbringen. Da unser Platz direkt an einem kleinen Weg liegt, bekommen wir immer wieder neugierige Besucher die ihren Kopf ins Zelt stecken. Dabei sind aber ausnahmslos alle überaus freundlich und kein bisschen aufdringlich. Wie wir schon vorher festgestellt hatten, sind die Menschen in den Bergen einfach ganz anders. In den kommenden Tagen warten mehrere lange Anstiege auf uns. Zum Glück meldet sich auch rechtzeitig die Kraft in den Beinen wieder.
Da wir manche Anstiege auf zwei Tage aufteilen, bleibt uns nichts andres übrig als am Straßenrand zu zelten. Natürlich kommt das halbe Dorf vorbei zum hallo sagen. Am nächsten Morgen bekommen wir nur wenige hundert Meter weiter Tee, Omlette, noch mehr Gamosas (diesmal in den Farben von Sikkim), handgefertigte Bambusstifte und eine Routenempfehlung für die nächsten Tage. Falls jemand mal nach Namthang kommen sollte, unbedingt einen Stop im „Mountain Fresh Coffee“ einlegen und Ranjit schöne Grüße von uns ausrichten!
In den Bergen essen wir fast täglich Momos, eine tibetanische Spezialität die fast überall angeboten wird. Mein Hunger kommt langsam aber sicher zurück und auch sonst geht es nicht nur mit der Straße bergauf. Mit dem Wetter haben wir Glück, es regnet (noch) nicht und auch der Verkehr ist erträglich.
Allerdings wäre Indien nicht Indien, wenn es nicht auch wieder einige nervtötende Überraschungen für uns bereithalten würde. Und so wimmelt es in den feuchten Berghängen geradezu von Blutegeln, die sich angriffslustig über den Boden winden auf der Suche nach dicken saftigen Radlerwaden. Da wird das morgendliche und abendliche Kochen vor dem Zelt zum Spießrutenlauf. Eines Abends verpassen wir es um wenige Minuten unser Zelt rechtzeitig vor Sonnenuntergang aufzubauen und natürlich werden wir sofort bestraft. Tausende von fliegenden Ameisen schwirren uns um den Kopf, in die Nase und die Ohren. Es ist kaum möglich einzuatmen oder zu sprechen ohne einen geflügelten Snack in Nase oder Mund zu haben. Aber mittlerweile nehmen wir auch solche Situationen mit einer kleinen Portion Galgenhumor. Wer einen gemütlichen Tag auf dem Rad verbringen will, bei dem alles nach Plan verläuft, der darf halt nicht durch Indien fahren.
Am Ende unseres kleinen Abstechers durch Sikkim werden wir dann wieder ein mal von der indischen Bürokratie überrascht. Nicht nur dürfen Touristen Sikkim nur an zwei Checkpoints betreten, sie dürfen den Staat auch ausschließlich an diesen verlassen! Sagt einem natürlich niemand und so stehen wir plötzlich am Ende einer kurzen aber steilen Abfahrt an einem späten Nachmittag vor verschlossener Schranke.
Keine Chance weiter zu kommen und so bleibt uns nichts anderes übrig als den 30km langen Umweg zurück auf die hässliche Straße vom Anfang zu nehmen. Was uns danach erwartet sprengt unsere Oberschenkel und unsere Vorstellung. 1500 hm auf knapp 10 km windet sich die kleine Bergstraße in den Himmel. Macht ziemlich genau 15% Steigung, im Schnitt (!). Wir müssen unser komplettes Gewicht aufs Pedal stemmen und schaffen trotzdem nur ca. 2-3 km in einer Stunde. Wir sind so langsam, dass das GPS-Gerät auf Auto-Pause geht und wir kurz vorm Umfallen sind. Dazu ist es nach wie vor brütend heiß. Die Straße an sich wäre mit einem leichten Rennrad ein absoluter Traum, sogar eine Nadelöhrkurve a la Sa Calobra auf Mallorca hat sie zu bieten. Mit 40kg Gepäck ist es ein einziger Kampf gegen die Schwerkraft.
Darjeeling an den Berghängen entlohnt uns zunächst auch nicht wirklich, viel mehr werden wir mit Regen und Nebel begrüßt, von Tee gesäumten Berghängen nichts zu sehen. Nach einer nassen Nacht im Zelt und einem aufziehendem Zyklon finden wir Zuflucht für eine Nacht in einem Krankenhaus, diesmal freiwillig. Die diensthabenden Schwestern kochen extra eine riesen Portion Reis und Dhal für uns und wir genießen die Zeit sehr. Eine von ihnen spricht sehr gut Englisch und so erfahren wir viele interessante Infos. Solche Momente in denen wir so nahe in Kontakt kommen mit den Einheimischen sind neben der grandiosen Natur die Schönsten auf unserer Reise.
Am nächsten Morgen ist auch der Zyklon ver
zogen und Darjeeling strahlt in der Morgensonne, im Hintergrund die hohen Berge des Himalaya.
Die Abfahrt folgt der Grenze zu Nepal durch dichten moosbewachsenen Urwald. Zusammen mit dem Nebel ergibt sich eine mystische Stimmung. Unsere Zeit in Indien kommt langsam dem Ende entgegen. Hätte uns jemand am ersten Tag oder noch in der ersten Woche gefragt, hätten wir vermutlich gesagt: „nie wieder!“. Jetzt, fast sieben Wochen später, können wir zwar nicht behaupten wir hätten uns direkt verliebt in das Land und seine Leute. Aber die Zeit in Indien war unglaublich intensiv und interessant. Müssten wir ein Land auswählen dass wir ein zweites Mal besuchen können, es wäre vermutlich Indien. Und trotzdem freuen wir uns jetzt auf Nepal, das nächste Land unserer Reise und vor allem auf die schneebedeckten hohen Berge des Himalaya. Bis dahin ist es aber ein noch ein weiter Weg und wieder läuft eigentlich nichts nach Plan. Davon aber mehr im nächsten Blogeintrag.
Comments